Start-up-Interview: „Wir entstauben die Energiebranche“

Start-up Stories – Mittwoch, 19. August 2020

Der digitale Stromanbieter Tibber versorgt seine Kunden mit Ökostrom zum Einkaufspreis. Verbraucher mit Smart Meter bekommen dabei stündlich aktualisierte Preise.

Tibber will die Energieversorgung grüner, günstiger und intelligenter machen

Das norwegische Start-up Tibber bietet seinen Kunden grünen Strom zu stundenaktuellen Börsenpreisen. In Schweden ist es seit kurzen mit seiner SmartCharging Lösung für Elektroautos auf dem Markt für Primärregelleistung aktiv. Im Interview erklärt die Deutschlandchefin Marion Nöldgen, warum ihr Unternehmen hierzulande erst einmal Aufbauarbeit in Sachen Digitalisierung leistet.
In unserem Juli-Newsletter haben wir kurz darüber berichtet, dass Tibber mit seinem SmartCharging-System für Elektroautos jetzt das schwedische Stromnetz mit stabilisiert. Erzählen Sie uns bitte mehr über das Start-up.

Tibber ist ein komplett digitaler und grüner Stromanbieter aus Norwegen – wir entstauben die Energiebranche indem wir Nachhaltigkeitsgedanken mit moderner Technologie und viel Leidenschaft verbinden.

Was genau bietet Tibber an?

Wir versorgen Haushalte mit Strom aus erneuerbaren Quellen zum Einkaufspreis ohne versteckte Kosten wie die branchenübliche Marge. Der ganze Handel läuft automatisiert ab. Unser Ziel ist es, dass weniger Energie verbraucht wird. Im Gegensatz zu den großen Stromanbietern verdienen wir darum selbst nichts am Stromverbrauch, sondern erheben nur eine geringe Grundgebühr von knapp 4 € pro Monat für unseren Service. Über eine App können die Kunden sehen, wann sie wie viel für den Strom bezahlen und – je nach Ausstattung zuhause – welches Gerät wie viel Strom verbraucht.

Tibber wurde 2016 gegründet und ist in Norwegen und Schweden bereits etabliert. Seit Anfang des Jahres ist das Start-up auch in Deutschland aktiv. Was macht gerade den deutschen Energiemarkt für Sie interessant, obwohl wir hier mit der Digitalisierung noch nicht besonders weit gekommen sind?

Deutschland ist aus mehreren Gründen sehr spannend für uns. Wir haben hier die Möglichkeit mit echter Innovation als eine Art Katalysator zu fungieren. Digitalisierung muss einen Mehrwert stiften, sonst macht sie keinen Sinn. Solange es für Verbraucher keinen Anreiz gibt, zum Beispiel einen Smart Meter zu Hause zu haben: warum sollte man sich darum kümmern oder sich auch nur mit dem Thema näher beschäftigen? Erst mit Tarifen und Funktionen, die aus dem ganzen einen Nutzen ziehen, wird es attraktiv. Außerdem ist Deutschland mit der Energiewende zwar auf einem guten Weg, leider gibt es bislang aber kaum Möglichkeiten für Endverbraucher, von den Vorteilen zu profitieren. Ökostrom ist oft sehr teuer und Preise und Tarife sind sehr undurchsichtig. Auch hier gibt es großes Potential für Angebote, wie wir sie mitbringen.

Marion Nöldgen ist die Deutschlandchefin des 2016 in Norwegen gegründeten Start-ups.

Was sind die größten Unterschiede zwischen dem deutschen Strommarkt und dem skandinavischen? Gibt es dort schon mehr Smart Meter oder digitale Angebote?

Ja, das ist auf jeden Fall so. Die Schweden waren schon 2009 mit dem Rollout fertig. Norwegen ist später dran, dort sind wir bereits in 2018 gestartet, als der Rollout noch nicht begonnen hatte. Hier konnten wir für Deutschland lernen. Allerdings ist in Skandinavien die Gesetzgebung eindeutiger. Dort war klar, jeder Verbraucher bekommt bis zu einem bestimmten Termin einen Smart Meter. In Deutschland eiern wir da ein bisschen herum. Hier heißt es, Smart Meter erst ab 6.000 kWh Jahresverbrauch und bis zum Jahr 2028, einen Teil aber schon früher, unter 6.000 kWh erst einmal nur optional. Dazu kommt, dass die Menschen in Skandinavien viel häufiger in ihrem Eigenheim leben. In Deutschland wohnt die Hälfte unserer Kunden zur Miete. Die haben erst einmal kein Interesse an einem Smart Meter. Den allermeisten deutschen Verbrauchern können wir darum aktuell nur eine abgespeckte Version unseres Angebots bieten.

Welche Services können Sie Kunden bieten, die keinen Smart Meter haben?

Bei diesen Kunden rechnen wir einen durchschnittlichen Monatspreis aus den Strombörsenpreisen ab. Wir haben das mal durchgerechnet: Rein monetär ist das am Ende gar kein so großer Unterschied zu einer stündlichen Preisberechnung, sofern man jetzt nicht gerade viele Kilometer mit dem eigenen Elektroauto fährt oder überhaupt einen sehr großen Stromverbrauch hat. Außer günstigen Ökostrom zu Einkaufspreisen bekommen die Kunden einen flexiblen und transparenten Stromvertrag ohne feste Laufzeit und die Möglichkeit, ihren Verbrauch monatlich zu überprüfen. Außerdem können sie viele Smart Home-Geräte wie Tado, Philips Hue oder ihre Solaranlage mit Tibber verbinden und über unsere App steuern.

Tibber will die Digitalisierung bei der Stromversorgung aber auch selbst voranzutreiben?

Ja, in Norwegen bieten wir bereits ein kleines Zusatzgerät an, den Tibber Pulse. Der soll bald auch in Deutschland erhältlich sein. Wir vergleichen es mit einem Herzfrequenzmesser für den Stromverbrauch. Man schließt den Tibber Pulse einfach mit einem Netzwerkkabel an einen digitalen Stromzähler an. Das Gerät überträgt dann den Verbrauch in Echtzeit über WLAN an die Tibber-App. Auf diese Weise können wir die moderne Messeinrichtung mit wenig Aufwand zum intelligenten Zähler machen. Das ist die günstigste Lösung für Leute, die weniger als 6.000 kWh Stromverbrauch haben. Darüber hinaus arbeiten wir mit diversen Messstellenbetreibern, u. A. mit Discovergy, daran, wie sich Zählerdaten möglichst einfach und günstig auslesen und übertragen lassen.

Tibber möchte, dass seine Kunden weniger Strom verbrauchen. Wie bringen Sie die Kunden zum Sparen?

Durch Transparenz und smarte Steuerung. Wenn Menschen wissen, welche Geräte oder welches Verhalten den meisten Strom frisst, ist es leicht, ohne große Einschränkungen bewusster zu konsumieren. Allein, wenn das Bewusstsein für den Verbrauch da ist, trägt das schon zum Sparen bei. Über unsere App kann man seinen Verbrauch nicht nur sehen, sondern auch mit anderen vergleichen, ähnlich wie mit einer Fitness-App. Das spornt zusätzlich an. Außerdem bieten wir mit unseren Power-ups eine ganze Reihe von Produkten für die smarte Steuerung zum Beispiel der Heizung oder Beleuchtung.

Mit dem SmartCharging System können Kunden ihr Auto dann laden, wenn der Strom gerade am günstigsten ist.

Die Strompreise an der Börse können auch mal negativ sein. Heißt das die Kunden könnten am Ende Geld verdienen, wenn sie ihre Waschmaschine zur richtigen Zeit einschalten?

Theoretisch ist das so. Aber der negativste Strompreis, der so vorkommt, liegt bei minus 90 € pro MWh, durch die Steuern und Abgaben steigen die Kosten dann doch wieder über Null. Es müssten schon mindestens minus 200 € pro MWh sein, damit der Kunde wirklich etwas gutgeschrieben bekommt. Für den Normalverbraucher bei uns kostet der Strom im Falle von negativen Börsenpreisen dann eben nur 15 statt 22 ct/kWh, um das mal grob zu beziffern.

Wie funktioniert die Smart Charging-Lösung? Welche Voraussetzungen muss der Kunde dafür erfüllen?

Wer einen smarten Stromzähler besitzt, kann bei uns einen stündlichen Tarif erhalten, eine Möglichkeit die schon lange in vielen europäischen Märkten etabliert ist. Der Strompreis wird dann stündlich an den aktuellen Einkaufspreis angepasst und direkt an den Kunden weitergegeben, auch negative kWh-Preise. Tibber-Kunden, die ein E-Auto haben und das mit unserer App verbinden, können ihr Autos abends an ihre Wallbox anschließen, der App sagen, wann das Auto wieder fahrbereit sein muss, und Tibber sorgt dafür, dass das Auto dann geladen wird, wenn der Strom am günstigsten ist. Das spart je nach bisherigem Tarif ca. 20–40% der Kosten.

Tibber habt in Schweden erfolgreich getestet, wie sich mit Hilfe der SmartCharging-Lösung das Stromnetz bei einer Überkapazität stabilisieren lässt. Geht das auch schon umgekehrt? Dass Autobatterien bei einer Unterversorgung angezapft werden?

Das ist technisch deutlich schwieriger umzusetzen und auch ein größerer Eingriff. Nicht undenkbar, aber nicht in naher Zukunft.

In Schweden darf Tibber jetzt am Ausgleichsmarkt für Primärregelleistung aktiv werden. Ist so etwas mittelfristig auch in Deutschland denkbar?

Ja, auf jeden Fall. In Deutschland ist das Thema aufgrund der stetig steigenden erneuerbaren Energien im Mix ein großes Potential für uns.

Welche Länder sind Ihre nächsten Zielmärkte? Und welche neuen Features oder Angebote sind für die nächsten zwei, drei Jahre geplant?

Es sind sowohl neue Funktionen also auch neue Länder in Planung. Was und wo genau es passiert, verraten wir dann, wenn es soweit ist. Perspektivisch wollen wir auch ein Angebot für Hausbesitzer entwickeln, deren PV-Anlage aus der Einspeisevergütung herausfällt. Aktuell haben wir eine Kooperation mit WeShare geschlossen, einem rein elektrischen Car-Sharing-Anbieter in Berlin. Unsere Kunden bekommen Gutscheine über 50 € wenn sie neue Kunden werben. Dieses Guthaben können sie nun bei WeShare einlösen.

Das Interview führte Simone Pabst

Weitere Informationen: Tibber

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