Vor einigen Jahren galten Stadtwerke häufig noch als „lahme Ente“ in puncto Energiewende. Dies hat sich mittlerweile gründlich geändert: Stadtwerke sind vielfach Labore einer neuen Energiewelt und Motoren für den Klimaschutz. Sie treiben aktiv die Strom-, Wärme- und Verkehrswende voran und entwickeln hierfür neue Geschäftsmodelle. Häufig setzen sie hierbei auf Bürgerbeteiligungsangebote, Lösungen für Prosumer, vielfältige Kooperationen und technische Innovationen.
Einer der Vorreiter sind die Stadtwerke Stuttgart (SWS). Sie haben eine Schlüsselrolle bei der Realisierung der Klimaziele der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Diese will bis spätestens 2035 klimaneutral sein. Rund drei Milliarden Euro möchte das kommunale Unternehmen hierfür in den kommenden Jahren in die Strom-, Wärme- und Verkehrswende investieren. So wollen die SWS den Ökostrom für ihre Kunden künftig selbst erzeugen. Angestrebt wird bis 2035 eine Erzeugungsmenge von etwa 1,7 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr.
Zu diesem Zweck investieren sie in Windparks und großflächige Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Unter dem Slogan „Mach dein Dach zur Energiewende“ bietet das kommunale Unternehmen bereits erfolgreich Komplettpakete mit PV-Anlage und Batteriespeicher für Haushalte und Unternehmen an, per Pacht oder zum Kauf. Zudem arbeiten die SWS seit Januar 2022 mit der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft zusammen, um PV-Dachanlagen mit insgesamt 25 Megawatt und Mieterstrom für 9000 Wohnungen zu realisieren.
Allein bei der Wärmewende rechnen die SWS mit einer Investitionssumme von 700 Millionen Euro bis 2035. Das Unternehmen möchte zu diesem Zweck alle erneuerbaren Wärmequellen im Stadtgebiet erschließen, darunter insbesondere Abwasserwärme, außerdem Luft- und Erdwärme sowie, wenn möglich, auch Wärme aus dem Neckar. Je nach verfügbaren Quellen können die Wärmelösungen leitungsgebunden oder objektbezogen sein. Im Bereich Verkehrswende bauen die SWS unter anderem die Ladeinfrastruktur weiter aus. Schon heute betreibt der Energiedienstleister das größte Ladenetz in Stuttgart. Ziel bis 2035 sind 10.000 bis 15.000 Ladepunkte im Stadtgebiet – privat und öffentlich zugänglich. Daneben vertreiben die SWS Wallboxen für das Laden zu Hause und bieten „Stella Sharing“ mit 200 E-Rollern an, geladen wird mit SWS-Ökostrom.
Mit vielfältigen Angeboten rund um die Energiewende sind auch die Stadtwerke München (SWM) unterwegs. Mit Ihrer Initiative „M-Solar Sonnenbausteine“ setzen sie auf Bürgerbeteiligung bzw. Crowdfunding. Ziel ist es, mehr freie Dachflächen in der bayerischen Landeshauptstadt für Photovoltaik zu nutzen. Die SWM bauen und betreiben die Anlagen. Bürger können sich hieran mit Sonnenbausteinen von 500 bis 5000 Euro beteiligen. Diese zweckgebundenen Nachrangdarlehen sichern die Finanzierung der Anlagen. Für das investierte Geld gibt es einen jährlichen Zinssatz. Gleichzeitig können Sie für Ihr Zuhause regionalen Ökostrom beziehen, der auch mit Hilfe der realisierten Sonnenbausteine produziert wird. Der Nachweis der Regionalität erfolgt über Regionalnachweise des Umweltbundesamts.
Individuelle PV-Komplettpakete bieten die SWM über „M-Solar Plus“ an. Im Fokus stehen hier auch Post EEG-Anlagen, für welche die Förderung nach 20 Jahren auslief. Angeboten wird u.a. eine Umrüstung auf Eigenverbrauch mit oder ohne Batteriespeicher oder ein Repowering, sprich einen Ersatz durch eine neue, leistungsfähigere PV-Anlage.
Im September 2022 starteten die SWM zudem gemeinsam mit der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG eine Mieterstrom-Offensive. Die GWG stellt den Stadtwerken München geeignete Dachflächen für den PV-Ausbau zur Verfügung, Vorgesehen ist, auf sämtlichen GWG-Neubauten und bei Sanierungen, soweit möglich, PV-Mieterstromanlagen zu errichten.
Auf Bürgerbeteiligung setzen beispielsweise auch die Stadtwerke in Münster. Über eine digitale Bürgerbeteiligungsplattform besteht die Möglichkeit sich an verschiedenen Windenergie- und Photovoltaikprojekten zu beteiligen. Bereits Ende 2014 wurde auf Initiative der Stadtwerke die Genossenschaft „Unsere Münster-Energie“ gegründet, um Bürger an neuen Windenergieprojekten teilhaben zu lassen. Auch wurden über Genussrechte Bürgerinnen und Bürger an zahlreichen Photovoltaik-Anlagen beteiligt.
Im Trend liegen auch regionale Partnerschaften, mit welchen die Energiewende vor Ort schneller vorangebracht werden soll. So beteiligten sich die Osterholzer Stadtwerke Anfang November 2022 mit 21,5 Prozent an einem im August neu gegründeten, regionalen Elektroinstallationsunternehmen, um Kundenaufträge im Photovoltaik-Contracting schneller bedienen zu können. Zudem gründete der niedersächsische Kommunalversorger eine gemeinsame Gesellschaft mit einem örtlichen Projektierer zur Planung und Errichtung von größeren Photovoltaik- und Windkraftanlagen sowie zur Vermarktung der erzeugten Strommengen.
Bereits in den vergangenen Jahren bauten die Osterholzer Stadtwerke ihr Dienstleistungsangebot stark aus, beispielsweise rund um Wallboxen oder Solar-Carport-Contracting. 2017 stellte das kommunale Unternehmen alle Stromtarife komplett auf Ökostrom um. Vier Bürgersolarkraftwerke wurden bisher realisiert.
Auf Kooperationen und vielfältige Beteiligungsmodelle setzen auch die Städtischen Werke Kassel. Seit kurzem arbeiten sie beispielsweise bei der Umsetzung komplexer größerer PV-Projekte mit einem darauf spezialisierten hessischen Start-Up zusammen. Über sogenannte Sonnen Teams können sich Privatpersonen an PV-Anlagen finanziell beteiligen, die bei Kunden des kommunalen Versorgers entstehen. Als eines der ersten Projekte wurde eine PV-Anlage auf dem Dach des Straßenbahndepots der Kasseler Verkehrsgesellschaft mit einer Leistung von 750 Kilowatt realisiert. Der Großteil des erzeugten Stroms wird direkt auf dem Betriebshof verbraucht.
Fest im Blick haben innovative Stadtwerke wie im nordrhein-westfälischen Iserlohn die Wärmewende. Die dortigen Stadtwerke entwickelten zusammen mit einem IT-Dienstleister eine Software, mit deren Hilfe auf Basis von künstlicher Intelligenz der Betrieb von Fernwärmenetzen optimiert werden kann. Echtzeitmonitoring und Wärmebedarfsprognose ermöglichen u.a. eine Absenkung der Netztemperatur und eine Steigerung der klimaneutralen Wärmeerzeugung.
„Grid Insight: Heat“ ist Teil des Projektes Virtuelles Kraftwerk Iserlohn und vernetzt unterschiedliche Technologien wie Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft, Heizkraftwerke, Biomasse, Energiespeicher und Elektromobilität, um Synergieeffekte zu erzielen. Bereits im ersten Betriebsjahr konnte so deutlich Erdgas eingespart werden.
Stark im Kommen sind auch große Solarthermieanlagen, die in städtische Wärmenetze einspeisen. So wurde im September 2022 von den Stadtwerken Greifswald die mit einer Leistung von 11 Megawatt bisher größte solarthermische Anlage Deutschlands in Betrieb genommen. Über die Einbindung in ein innovatives Kraft-Wärme-Kopplungs-System mit einer 5 MW Power-to-Heat-Anlage, einem Wärmespeicher, einer großen Luftwärmepumpe sowie Biomethan soll der Anteil der erneuerbaren Wärme im Greifswalder Fernwärmenetz bis 2024 auf rund 35 Prozent steigen.
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