Batteriekreislauf neu gedacht

Wann ist der beste Zeitpunkt, um Batterien zu recyceln? Das junge Unternehmen Circunomics setzt darauf, leistungsfähige Fahrzeugbatterien nach ihrem Ersteinsatz nicht direkt zu recyceln, sondern sie für Second-Life-Anwendungen als Energiespeicher weiterzuverwenden. Über den unternehmenseigenen digitalen Marktplatz können Automobil- und Batteriehersteller ihre gebrauchten oder überschüssigen Batterien, aber auch Module und Zellen, an die Energiebranche verkaufen.

Im Interview mit Marius Vogt, Head of Sales bei Circunomics, erfahren wir zudem, wie das Unternehmen mithilfe von KI den Wert einer Batterie über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg bestimmt und prognostiziert, wann ihre First-Life-Nutzung endet.

Interview mit Marius Vogt, Head of Sales bei Circunomics

Wie ist das noch junge Unternehmen Circunomics entstanden?

Die Idee kam den beiden Gründern Felix Wagner und Jan Born im Jahr 2018, als sie noch in der Digitalagentur mediaman GmbH gearbeitet haben. Ein Automobilhersteller hatte seinerzeit die Agentur beauftragt, einen Bericht zur Kreislaufwirtschaft eines bestimmten Elektrofahrzeugs anzufertigen. Jedoch gab es zu dieser Zeit nur wenige Daten zu ressourcenschonendem und effizientem Batterierecycling, was die beiden dazu bewegte, sich intensiver mit diesem Thema auseinanderzusetzen und in Folge mit einem eigenen Start-up in dieser Marktlücke aktiv zu werden. Sie entwickelten erste Konzepte und suchten Lösungen für Fragen wie: Welche Möglichkeiten gibt es für Batterien nach ihrem Einsatz im Fahrzeug? Wie lässt sich bestimmen, dass sich die Batterie für eine Second-Life-Verwendung eignet? Welche Recycling-Methoden sind sinnvoll? Diese Fragen bildeten die Grundlage für unsere heutige Arbeit, um nachhaltige Lösungen für die Batteriekreislaufwirtschaft zu entwickeln. Und es zeigte sich schnell, dass die Herausforderungen immens sind und das Geschäft mit Second Life und Recycling keine Marktlücke mehr ist, sondern eine große Aufgabe mit entsprechendem Potenzial.

Unter welchen Voraussetzungen ist eine Batterie für eine Second-Life-Verwendung bereit? Für welche Industrien und Produkte finden sie beispielsweise Verwendung?

Hierbei spielt unser Batterie-Analyse-Tool eine zentrale Rolle. Aktuell ist die Situation so, dass die Hersteller während des First Life einer Batterie, zum Beispiel in einem Pkw, eine umfangreiche und detaillierte Datensammlung vornehmen und diese speichern. Diese Daten werden dann mit unserer Software in einer Cloud zusammengeführt, so dass unser Analyse-Tool den State of Health (SoH) exakt ermitteln kann. Mittels Digital Twin können wir anschließend eine Hochrechnung durchführen, wie sich die gebrauchte Batterie bei einer Zweitverwendung, also im Second Life, verhält. Auf dieser Basis können wir den Interessenten, zum Beispiel einem Hersteller eines Energiespeichersystems einer großen Photovoltaikanlage, eine Empfehlung aussprechen, welche auf dem digitalen Marktplatz angebotenen Batterien für diese Anwendung am besten geeignet sind. Abhängig vom jeweiligen Einsatzgebiet können Batterien auf diese Weise noch einmal fünf bis acht Jahre weiterverwendet werden, was ihre Lebensdauer erheblich verlängert, bevor sie einem qualifizierten Recycling zugeführt wird.

Mit Blick in die Zukunft wäre die Idealvorstellung, dass wir bereits während des First Life einer Batterie Zugriff auf die Daten bekommen. Das heißt, wir wollen keinen Zugriff auf die individuellen Fahrdaten des Nutzers, sondern nur den Zugriff auf die Daten im Batterie Management System (BMS). Unser Analyse-Tool wäre dann in der Lage, bereits während der ersten Nutzungsphase einer Batterie festzustellen, wie lange sie noch einsatzfähig ist und welchen Wert sie später haben wird. Dabei greifen wir nicht aktiv in die Batterie ein, sondern überwachen sie und geben den Nutzern Hinweise, wie sie sie schonender nutzen können. Vor allem können wir auf Basis des individuellen Gebrauchs die voraussichtliche Lebensdauer der Batterie prognostizieren.

Der Kern unserer Arbeit liegt also in der Zusammenführung aller über ein Batterieleben beteiligten Industriepartner mit dem Ziel der Wiederverwendung von Batterien. Die häufigsten Einsatzbereiche im Second-Life sind Energiespeicher, von kleinen Heimspeichern bis hin zu großen Gewerbespeichern, die beispielsweise für den Netzausgleich oder zur Lastspitzenkappung genutzt werden.

Welche technischen Schritte sind erforderlich, um eine Batterie für das Second-Life einzusetzen?

Zuerst müssen wir die Batterie auf Basis der gesammelten Daten kennenlernen. Das geschieht mithilfe eines Algorithmus, der die Batteriealterung und ihr Verhalten versteht. Je mehr Daten wir zu einem Bild zusammensetzen können, umso präziser ist die Analyse des State of Health sowie anschließend die Prognose für die zukünftige Zweitverwendung.

Unser Algorithmus basiert auf einem elektrochemischen Modell, das wir mit Daten aus der Nutzung während des First Life füttern. Hinzu kommt ein Abgleich mit Daten, die wir in einem eigenen Labor zusammentragen. Im Labor führen wir eine generische Alterung durch, wir setzen deshalb die Batterien gezielt hohen Belastungen aus, testen sie unter verschiedenen C-Raten und Temperaturbedingungen und nutzen diese Daten später zur Optimierung unserer KI-gestützten Software. C-Raten geben an, wie schnell Batterien die Energieaufnahme und -abgabe bewältigen und sind somit entscheidend für Ladezeiten, Leistungsfähigkeit und Lebensdauer.

Dank dieser Methode erreichen wir bei unserer Bewertung eine Genauigkeit von 97 Prozent, mit einer maximalen Abweichung von nur 3 Prozent im Vergleich zu den Laboranalysen. Auf dieser Basis erfolgt das „Battery Matchmaking“ auf unserer Plattform: Wir prognostizieren, für welche Second-Life-Anwendungen eine Batterie noch geeignet ist – etwa für den Einsatz in Solar- oder Windparks.

Welche Vorteile bieten Second-Life-Batterien in Energiespeichersystemen? Gibt es Einschränkungen? Wie lange bleiben sie leistungsfähig?

Eine Fahrzeugbatterie wird während ihres Einsatzes auf verschiedene Weise belastet: Schnelles Fahren, Beschleunigen, Laden mit unterschiedlichen Leistungsstufen und extreme Temperaturschwankungen setzen die Batterie unter Stress und können ihre Alterung beschleunigen. Wenn eine Batterie nicht mehr für den anspruchsvollen Lastzyklus eines Fahrzeugs geeignet ist, suchen wir nach alternativen Einsatzmöglichkeiten – und genau hier kommen Energiespeicher ins Spiel. Fahrzeugbatterien sind auf hohe C-Raten ausgelegt. Beim Entladen liegt die C-Rate typischerweise zwischen 3 und 5 C, beim Laden zwischen 1 und 2 C. Zum Verständnis: Eine C-Rate von 1 C entspricht einer Lade/-Entladezeit von einer Stunde und 5 C entspricht einer Lade/-Entladezeit von etwa 12 Minuten. Diese hohen Belastungen führen zu einem schnelleren Verschleiß.

In einem Energiespeichersystem, wie etwa in einem Solarpark, sieht das anders aus. Hier erfolgt die Energieaufnahme und -abgabe viel gleichmäßiger, mit einer C-Rate von nur 0,5 bis 1 C. Das bedeutet eine deutlich geringere Belastung im Vergleich zum Einsatz im Fahrzeug.

Da Fahrzeugbatterien für hohe Leistungsfähigkeit ausgelegt sind, eignen sie sich hervorragend für eine zweite Nutzung als Energiespeicher. Sie können so noch mehrere Jahre zuverlässig genutzt werden und helfen dabei, erneuerbare Energien effizient zu speichern und bereitzustellen.

Was kann man sich unter der hybriden, KI-physikgestützten Software mit First-Life-Analyse vorstellen?

Unsere KI erstellt Milliarden von Bildern und analysiert, wie sich der Batterie-Zustand verändert. Wird eine neue Batterie geprüft, vergleicht die KI diese Daten mit denen anderer Batterien und bestimmt so präzise den State of Health.

Im nächsten Schritt berechnet die Software den aktuellen Wert der Batterie und prüft, ob eine Weiterverwendung möglich ist. Anschließend kann sie auf unserem digitalen Marktplatz angeboten werden. Dort bieten wir Lithium-Ionen-Batterien, Nickel-Mangan-Cobalt-Akkumulatoren oder Lithium-Eisenphosphat-Akkumulatoren an. Falls die Batterie noch im Fahrzeug im Einsatz ist und wir den Zugriff auf das BMS haben, prognostizieren unsere Analysen bereits während des First Life, wann sie ausgetauscht werden kann.

Durch unsere umfangreiche Datensammlung und die Vielzahl an analysierten Batterien in unserem System können wir auch das Recycling besser planen, wenn eine Batterie für eine Zweitverwendung nicht mehr geeignet ist. Dann wird sie qualifizierten Recycling-Unternehmen angeboten. So schaffen wir eine digitale Kreislaufwirtschaft für Batterien und optimieren das Lifecycle-Management. Circunomics betreibt in diesem Kreislauf den digitalen Marktplatz, bietet die Analyse, organisiert und überwacht den Verkaufsprozess und die Zahlungsmodalitäten und empfiehlt professionelle Partner für die Logistik.

Welche Einblicke erhält Circunomics in den globalen Batteriemarkt?

Als wir 2019 starteten, spielte das Thema Second-Life-Batterien noch eine untergeordnete Rolle. Das hat sich stark geändert und lässt sich anhand mehrerer Beispiele in Bezug auf unseren Marktwachstum darstellen: Mittlerweile sind über 5 Gigawattstunden Batteriekapazität auf unserem Marktplatz verfügbar – das ist genug, um die ees Europe eine ganze Woche lang mit Strom zu versorgen.

Unser Wachstum schreitet auch international voran. Seit Januar 2025 sind wir mit einem eigenen Team in den USA vertreten und bieten dort unsere Batterielösungen an. Bis Ende 2026 planen wir zudem eine Präsenz in Asien – ein Markt, der sehr komplex ist.

Ein großer Vorteil unseres Geschäftsmodells ist, dass sowohl unsere Analysen als auch unser Marktplatz vollständig digital und somit weltweit nutzbar sind. Und damit liegen wir voll in unserem Ziel, gebrauchte und überschüssige Batterien nachhaltig zu nutzen und in einem Kreislauf zu halten. So werden allein aus dem Pkw-Sektor ab dem Jahr 2030 jährlich zwischen fünf und sechs Millionen gebrauchter Batterien aus Fahrzeugen auf dem Markt erwartet, die ihr End-of-Life erreicht haben.

Circunomics ist Aussteller im ees Innovation Hub in Halle B0, Stand B0.155.

Der ees Innovation Hub ist ein Ausstellungsbereich der ees Europe. Als Europas größte und internationalste Fachmesse für Batterien und Energiespeichersysteme lenkt sie das Augenmerk auf innovative Unternehmen und Forschungsinstitute der Speicherbranche.

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