„Wir brauchen mehr Zubau an netzdienlicher PV“

Experteninterview – 16. April 2025

Die vertikale bifazialie PV ist eine technologische Spielart der PV, mit der durch die Ost-West-Ausrichtung PV-Strom vor allem morgens und abends produziert werden kann. Sie findet durch ihre vielfältigen Anwendungen beispielsweise im Rahmen der Agri-PV oder auf Verkehrsrandstreifen hohe Beachtung.

Im Interview mit Sascha Krause-Tünker, Geschäftsführer Vorstand bei Next2Sun, einem dem Pionier der vertikalen Agri-PV, wollten wir wissen, welche Entwicklungskurve derzeit in diesem Bereich stattfindet.

Interview mit Sascha Krause-Tünker, Geschäftsführer Vorstand bei Next2Sun

Wo kann die vertikale PV überall zur Anwendung kommen?

Besonders bekannt ist die Agri-PV, da die vertikalen Anlagen nur eine minimale Flächeninanspruchnahme haben. Das ist typischerweise weniger als 1%. Da bleibt viel Raum für landwirtschaftliche Nutzung dadurch, dass wir unterschiedliche Dimensionen nutzen: Die vertikale Dimension für die Stromerzeugung, die Horizontale bleibt fast vollständig für die Landwirtschaft. Aber damit erschöpft sich die Anwendung bei weitem nicht. Wir haben andere vertikale Anwendungen im Programm, zum Beispiel den Solarzaun, der dazu dient, Gebäude oder Grundstücke einzufrieden. Perspektivisch ist auch das Thema Infrastruktur interessant. Wir haben das Projekt am Frankfurter Flughafen. Künftig können auch an Straßen und Schienen solche PV-Zäune eine wichtige Energiequelle sein, auch um den Transportsektor weiter zu elektrifizierten. Laut einer Studie des Joint Research Center gibt es allein in Europa ein Potenzial von über 400 Gigawatt dafür.

Südausrichtung bei der PV ist King – mit welchen Argumenten widerlegt die vertikale PV dies?

Wir können mit der Ost-West Ausrichtung ein ganz anderes Erzeugungsprofil generieren. Mit den bifazialen Modulen können wir die Morgen- und Abendsonne einfangen und Strom dann produzieren, wenn er gebraucht wird, wenn er an den Strommärkten teuer ist und wenn in den Netzen Platz ist. Vertikale Ost-West Ausrichtung kann für die Stromproduktion sogar besser sein als eine konventionelle Südanlage, je weiter man vom Äquator wegkommt. Einfach weil weniger Verluste entstehen.

Kann die vertikale bifaziale PV einen Beitrag dazu leisten, den Stromverbrauch der Stromnachfrage anzupassen und damit auch negativen Strompreisen entgegenzuwirken?

Ja – wir stabilisieren mit diesem komplementären Erzeugungsprofil einerseits die Netze und andererseits wirken wir dem Marktpreisungleichgewicht entgegen. Es gibt verschiedene Faktoren, die da helfen können: Das ist sicherlich die Flexibilisierung der Nachfrage, auch der Zubau von Speichern. Aber wir brauchen auch mehr Zubau von netzdienlicher PV. Eine Studie des Fraunhofer Instituts hat für Deutschland ermittelt, dass 70 bis 80% Zubau auf der Freifläche mit vertikaler PV eigentlich optimal wäre, um die Netze optimal auszulasten. Laut Wissenschaftslage können wir die Stromkosten in Europa senken, wenn wir viel vertikal machen. Durch die niedrigeren Kosten beim Netzausbau, aber insbesondere auch dadurch, dass weniger Stromüberschuss entsteht und somit die Stromgestehungskosten insgesamt günstiger werden.

Wie kommt die vertikale Agri-PV derzeit im Marktsegment landwirtschaftliche PV an?

Bei den Landwirten sehr gut. Dort wo unsere Anlagen stehen, wo die Landwirte hinfahren und es anschauen, da passiert viel. Da ist eine hohe Akzeptanz. Denn man kann dort weiterhin mit großen Maschinen arbeiten und hat wenig Einschränkungen. Das überzeugt die Landwirte. Auch in der Bevölkerung ist die Akzeptanz höher, weil wir eben nicht die landwirtschaftlichen Flächen wegnehmen. Durch die alternative Bepflanzung auf den Randstreifen neben den Modulen kann sogar ökologische Aufwertung stattfinden, die Monokulturen verhindertauflockert. Projektentwickler, die kommerziell Agri-PV machen, sind verhaltener, weil die Leistungsdichte niedriger ist.

Wir erhoffen uns ein Umdenken, auch wenn man die Thematik Netzengpässe betrachtet – dafür muss allerdings in der Netzregulierung noch einiges passieren. Im Moment werden alle PV-Anlagen gleichbehandelt, egal wann sie produzieren. Da wird es zukünftig wichtig sein, die Regulierung zu entwickeln, dafür zu sorgen, dass das stärker differenziert wird. Dass man eher Einspeiseprofile zugewiesen kriegt, wo klar ist, wie viel Platz noch im Netz ist und wann ich wie viel einspeisen darf. Dann ist wahrscheinlich schnell nicht mehr die Fläche der eigentliche Engpass, sondern das Netz. Das dürfte ein wichtiger Durchbruch für die vertikale PV sein, weil dann die Vorteile, die sie bietet, in Wert gesetzt werden.

Wo siehst du die größten Wachstumschancen für vertikale PV außerhalb der Nutzung in der Landwirtschaft in den kommenden Jahren?

Wir können einiges im Residentialbereich machen, auch im Industriebereich, durch Einfriedung. Wir sehen auch Parkplätze als mögliches Potenzial. Perspektivisch ist das Thema Infrastruktur sicherlich hochinteressant – aber dort muss noch viel passieren. Damit die vertikale PV auf Schienen- und Verkehrswegen genutzt werden kann, muss die Energieerzeugung integraler Bestandteil der Straßenplanung werden.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Nutzung der vertikalen PV für bestehende Infrastrukturen wie Verkehrsrandstreifen?

Derzeit gibt es widerstreitende Regulierungen. Einzuhaltende Sicherheitsabstände bei Verkehrsrandstreifen führen dazu, das der Abstand so groß ist, dass ich gar nicht mehr auf den Flächen bin, die zur Straße gehören. Das ist vom Aufwand nicht handlebar. Wenn ich dann mit vielen einzelnen Eigentümern Nutzungsverträge abschließen muss, um eine Reihe Zaun entlangzuziehen, das lohnt sich nicht. Da geht es darum, zu evaluieren: Was sind die echten Sicherheitsanforderungen? Was braucht es wirklich? Wie kann man das lösen? Für sowas gibt es technische Lösungen, zum Beispiel über die Kombination Leitplanke mit PV. Außerdem braucht es Trigger im Hinblick auf die Autobahn GmbH, die für die Autobahnen zuständig ist. Die haben die klare Aufgabe, die Infrastruktur bereitzustellen. Das Thema Stromerzeugung ist aber nicht in Ihrem Zielkorridor. Für die Bahn gilt das ein Stück weit ähnlich, obwohl diese ja durchaus selbst Bedarfe hat. Da muss ein Umdenken stattfinden, das politische Anschubhilfe braucht, um solche Projekte anzugehen.

Sie verwenden einen veralteten Browser

Die Website kann in diesem Browser nicht angezeigt werden. Bitte öffnen Sie die Website in einem aktuellen Browser wie Edge, Chrome, Firefox oder Safari.